Prof. Kieser

Aus der Eröffnungsrede anlässlich einer Ausstellung in der Orangerie des Schlosses Mosigkau bei Dessau 1968, gehalten von Prof. Dr. Kieser.

Kunstausstellungen bieten vorzügliche Gelegenheit weitgreifender und anschaulicher Information. Sehen wir sie aufgeschlossen und erlebnisbereit, so zeigen sie uns oft mehr, als die bloße Erscheinung ihrer Gegenstände im Einzelnen aussagt. Sie rufen Assoziationen, Gedankenverbindungen auf, durch die grundsätzliche Beziehungen des Menschen zu seiner Umwelt insgesamt, zur Gesellschaft und ihrem Dasein Raum und Zeit spürbar werden. Die Tendenzen, wieder zu einer umfassenden und einheitlichen schöpferischen Konzeption zu kommen, verdichten sich. Es geht also darum, die unserer Zeit fremde Mystifizierung der Kunst und der Künstlerpersönlichkeit aufzugeben und dafür die realen Qualitäten zu erkennen und bewusst zu machen.

Wunsch – 1993

So die bedeutende kulturelle Funktion der Kunst bei der Gestaltung und Bereicherung unserer Umwelt und unseres Daseins überhaupt und die besondere humane Verantwortung des Künstlers im Zeitalter der technischen Revolution. Das bedeutet aber zugleich, dass die Forderung Daumiers, das „il faut etre de son temps“ – das „man muss mit seiner Zeit leben“ heute umfassend und ernst genommen werden muss. Die Auseinandersetzung des Schaffenden bezieht sich nicht mehr allein auf das Werkstück, auf konventionelles Material und technisches Verfahren zur Darstellung eines Gedankens. Vielmehr wird alles das, was an differenzierten „Überlegungen zur Sache“ wissenschaftlich aufgezeichnet werden kann, auch von den Überlegungen des Gestalters erwartet. Das bezieht sich auf die Kenntnisse überlieferter und neuentwickelter Technologien im gleichen Maß, wie auf die immer präziser erforschten Gesetze der Gestaltung auch in weit gespannten Räumen, und ebenso und nicht zuletzt auf die Gesetzmäßigkeiten und Forderungen aus dem soziologischen Bereich. Die vielfältigen Aufgaben der künstlerischen Gestaltung wachsen in einem Maß, das neben dem einzelnen, allein schaffenden Gestalter die Bedeutung der Zusammenarbeit überzeugend sichtbar werden lässt.

Kleemanns signieren gemeinsam. Das nehme ich als Indiz. Sicherlich sind Äußerlich grob die verschiedenen Anteile an bestimmten Arbeiten auch feststellbar – etwa so hier der zeichnerische Entwurf- dort die Assistenz in der materiellen handwerklichen Realisierung, oder wie auch immer solche mehr oder weniger theoretischen Analysen ausfallen mögen. Technik nicht mehr als eine feindliche Kraft, vielmehr als wesentliches Element zur Schaffung einer dem heutigen Menschengerechten, gegenständlichen Welt. Unter diesem Aspekt gewinnen sinnvolle Ordnungen, eigentümlichen Strukturen und Rhythmen, wie sie aus der organischen und anorganischen Natur und dem menschlichen Geist erwuchsen, besonders ästhetische Bedeutung. Eine ganz neue omamentale Formenwelt tritt neben die traditionelle Darstellung der menschlichen Gestalt. Und auch diese, von Natur aus den „klassischen“ Überlieferungen enger verbunden als jeder andere Gegenstand, steht unverkennbar unter den Vorzeichen unseres Jahrhunderts, ist unverwechselbar mit Früherem. Gewiss kann der Stilkritiker manche oft wohl auch unbewusste Wahlverwandtschaft aus bewährten Beständen spüren – etwa in der Porträtdarstellung, die eine glänzende Tradition hat.

Wirklichkeit – 1993

Fast überall, von der ebenen Emailplatte über mannigfache Spielarten des Reliefs bis zum freiplastischen Gegenstand wie Kreuz, Tabernakel und Gefäß, erscheinen die Farben differenziert zum Klingen gebracht und bewusst als Gestaltungsmittel. Sie unterstützen jeweils den eigentlichen Charakter der Arbeit und geben ihm Plastik im weitesten Sinn. Plastisch schaffen heißt, räumliche Vorstellungen durch tastbare Gebilde vermitteln so formuliert Alfred Kühn (Neuere Plastik). In diesem Sinn schaffen Dora und Hubert Kleemann phantasievoll überwiegend plastisch. Aber suggeriert nicht auch z.B. die Darstellung eines Planen Emails plastische Arbeit?

Wenn dies auch bestritten werden könnte, so möchte ich doch zu bedenken geben, dass auch hier eine räumliche körperhafte Vorstellung aufgerufen wird, gewollt oder ungewollt. Es gelten die einfachen Gesetze der Farbe, nach denen z.B. ein heller Klang vordergründig wirkt, ein dunkler Ton jedoch sonor in der Tiefe. So gewinnen durch die Farbenergie auch die imaginären „Räume“ des planen Emails eine eigentümliche Beziehung zum realen Raum der Umwelt. Die Erscheinung eines zumindest „in der Schicht“ farbig schwingenden Emails vermittelt somit optisch erfassbar plastisch­räumliche Vorstellung.

Raumerlebnisse, wie sie in der modernen „frei“ bildenden Kunst der letzten Generation manifestiert sind, finden auch hier ihren Niederschlag.